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Als junges Lehrerehepaar in der Oberpfalz

Der folgende Artikel über Gleiritsch, dessen Erscheinungsdatum unbekannt ist, berichtet über die Vorkriegszeit in der Gemeinde, also vor 1939. Der Bericht endet mit den Initialen E. S., was auf die Ehefrau des damaligen Lehrers Peter Spandl hindeutet, der von 1932 bis 1938 Lehrer in Gleiritsch tätig war. Theres Kiener unterrichtete von 1930 bis 1938 ebenfalls in Gleiritsch. Das deckt sich mit dem Inhalt des Textes. Der Zeitungsartikel, wahrscheinlich in einer niederbayerischen Zeitung erschienen, da die Spandls dort herstammten, dürfte in den 1960er Jahren oder Anfang der 1970er Jahre erschienen sein, wie sich aus dem Text erschließen lässt (Zitat: „Gleiritsch war vor etwa einem halben Jahrhundert …“). Der Text wurde mir vor Jahrzehnten vom früheren Gleiritscher Lehrer und späterem Bürgermeister Karl Stepper zur Verfügung gestellt.

Zum besseren Verständnis:

Die Gleiritscher Dorfschule war, wie alle anderen Dorfschulen auch, zweizügig. Eine Lehrkraft unterrichtete die Klassen 1 bis 4 im Untergeschoss und die andere Lehrkraft die Klassen 5 bis 8 im Obergeschoss. Eine Turnhalle gab es zur damaligen Zeit nicht, brauchte man aber auch nicht, da sich die Schulkinder den ganzen Tag bewegten oder zum Arbeiten eingesetzt waren, heute undenkbar. Alle Schüler, auch die von auswärts kamen, besuchten, ohne Ausnahme, jeden Tag die Frühmesse in der Gleiritscher Kirche, anschließend ging es zum Schulunterricht, der von Montag bis Samstag stattfand.

Der Weg zur Schule wurde zu Fuß zurückgelegt, im Sommer wie im Winter. Die Straßen waren nicht geteert, kein Schneepflug räumte durch Gleiritsch oder die anderen Orte der Gemeinde. Aus diesem Grunde konnten die Kinder immer auf den verschneiten und vereisten Dorfstraßen Schlitten fahren. Nach heftigen Schneefällen im Winter 1962 schaufelten die Gleiritscher von Gleiritsch aus und die Lampenrichter von Lampenricht aus, den Kirch- und Schulweg nach Gleiritsch frei, damit er wieder begehbar war. Die Schneewände erreichten dabei am oberen Seeberg eine Höhe von über zwei Metern. Hier der undatierte Artikel über Gleiritsch in der Vorkriegszeit:

(Alois Köppl)

Als junges Lehrerehepaar in der Oberpfalz

Erinnerungen zum Schulanfang in der Vorkriegszeit

Gleiritsch war vor etwa einem halben Jahrhundert nur ein kleines oberpfälzisches Dörferl, knapp drei Stunden von der tschechischen Grenze entfernt, eingerahmt vom Reckarsch und dem Seeberg, eine Expositur mit einer alten Kirche samt niederem Turm, mit einem Wirtshaus, zwei Kramerläden, einem Schuster, einem Schmied. einem Bäcker und einem Wagner. So stand es einst in der Lehrerstellenausschreibung, als mein Mann seine erste Stelle als junger Lehrer erhielt. Unser Dorf war zweieinhalb Gehstunden von Pfreimd und drei Stunden von Nabburg entfernt. Etwa 45 Minuten hatte man zur Bushaltestelle zu gehen. Das Postauto verkehrte täglich zweimal von Pfreimd nach Tännesberg, dem nächsten Markt, und brachte uns mit der Welt in Verbindung.

Schon vor der ersten Religionsstunde im neuen Schulort erfuhr mein Mann, dass der Herr Expositus entfernt verwandt zu uns und seine Pfarrersköchin Kathi eine Cousine meiner Mutter sei. Sie stammte auch aus dem Bayerischen Wald, wie ich. Ich kannte die Kathi von meinen Ferien als Kind. Sie war die Güte selber. Der „Herr Exposi". wie ihn seine Pfarrkinder nannten, war ein fröhlicher, junger Pfarrer, hilfsbereit, dazu ein technisches Genie, der einfach altes konnte: garteln und schreinern, Auto richten und schlossern. Er war auch Wünschelrutengänger. (Anmerkung: Expositus Georg Pfeilschifter, vom 01.05.1930 bis 01.09.1935, Expositus Heinrich Stangl, vom 01.09.1935 bis 16.02.1936 und Expositus Josef Grabinger, vom 01.03.1936 bis 16.06.1941 fallen in diese Zeit.)

GIeiritsch, unsere zukünftige Heimat, kannte ich nur von zwei kurzen Besuchen her. Die Gemeinde wollte uns mit einem Ständchen empfangen. Ein Fass Bier stiften und bis Mitternacht im Wirtshaus sitzen wollten wir aber nicht. So planten wir unsere

Ankunft für den späten Abend. Ich hatte vorher zweieinhalb Stunden im Bahnhof Pfreimd auf meinen Mann gewartet, umstellt von drei Blumenstöcken, zwei Koffern und fünf Schachteln, bis er in Pfreimd den einzigen Mietautobesitzer fand. Dieser war aber krank und seine Frau unterwegs. Endlich konnten wir doch losfahren und hielten dann in finsterer Nacht vor unserer Haustüre. Ein Stümpfl Kartoffel (Anmerkung: kleiner Sack mit Kartoffeln), frische Butter, ein Laib Bauernbrot und ein Haferl Schmalz warteten bereits auf uns. Im Haus roch es noch nach Farbe. Die Möbel waren am richtigen Platz, aber noch keine Vorhänge an den Fenstern.

Um 6 Uhr schellte am nächsten Morgen bereits die große Bimmelglocke durchs Haus. Ein MädI stand vor der Haustür und brachte die Milch. Gottlob war ich frisiert, nur den geblümten Morgenmantel hatte ich noch an. Die Kleine erzählte dann im Dorf: „Die nui Schellehrerin hot a Gwand o wea a Hoderscheck“ (Faschingsverkleidung). Um 6.30 Uhr läutete es zur Frühmesse, zu unserem ersten gesungenen Amt. Werktags sangen nur mein Mann und ich, für Sonntag war ein größerer Chor da. Wir probten die einfache Haberlmesse zu Hause, aber ich schmiss beim „Agnus Dei“ furchtbar um. Mein Mann hat dann den ganzen „Wust“ niedergeorgelt und die paar alten Frauen und Männer in der Kirche merkten kaum etwas davon. Nur der Herr Exposi sagte am anderen Tag beim Nachmittagskaffee „Gestern hat der Herr Lehrer aber fest georgelt“, und blinzelte mir zu.

Am Nachmittag beim Geschirreinräumen in die Vitrine löste sich die Verankerung der Glasplatte und die besten Stücke die darauf standen, gingen in Trümmer. Die „Schulfrein“, wie hier die Lehrerin hieß, und die auch im Hause wohnte, tröstete mich. Mein Mann war gerade unterwegs nach Tännesberg. Das war der Anfang!

Allmählich wurden wenigstens die Kinder zutraulicher und liefen nicht mehr vor mir davon, um sich hinter Scheunen und Ställen zu verstecken. Ich lernte ihre Sprache kennen und wusste was ein MinimolIer (Schmetterling), eine Stoarlsumpan (Starenhaus) und ein Kinigsseaher (Hausierer mit Tee und Medikamenten) war, dass die Reiberknödl Spotzn hießen, dass man zu ein bisschen „nea a Hialerl“ sagte und dass man abends „huza“ ging.

Eine Volkszählung stand bevor und die Lehrer mussten die Erhebungen machen. Mein Mann meinte, ich solle mitgehen, um Land und Leute kennenzulernen. Es war Ende Mai und sehr warm. Ich hatte ein helles Sommerkleid und weiße Schuhe angezogen und wurde von der Kleberbäuerin fast wie ein Gespenst angestarrt. Man ging damals als verheiratete Frau auf dem Land dunkel gekleidet, nur die jungen Mädchen hatten bunte Kleider an. Die Häuser in und um Gleiritsch waren klein und ebenerdig - es waren ja meistens Häusler (Anmerkung: Leute, ohne größeren Grundbesitz). Es gab in jedem Haus eine kleine „Kucha“, eine große Stubn mit Tisch und ringsum an der Wand Bänke, einen alten Ofen und, wenn es hochkam, eine Nähmaschine. Neben der Stubn war eine große und eine kleine Kammer. Gegessen wurde in der Stubn aus der gemeinsamen großen Schüssel und die Löffel wurden am grobleinernen Tischtuch abgewischt. Gleiritsch war sehr abgelegen und die Leute waren arm, da es wegen der weiten Entfernungen wenig Arbeitsmöglichkeiten gab. Es waren alte Leute im Ort, die noch nie mit dem Zug gefahren waren. Die Schulkinder gingen alle noch mit den Holzschuhen zur Schule. Die Fußböden der Schulsäle waren blitzsauber geschrubbt, die Bänke und Tafeln ziemlich morsch.

Nun kam Fronleichnam heran, ein Fest, an dem sich das ganze Dorf beteiligte. In Gleiritsch begannen die Vorbereitungen für den Prangertag schon eine Woche vorher. Die Ministranten suchten an den Bächen - es gab viele kleine und größere Forellenbäche – das “Kranzlkraut“. Daraus wurden dicke Kränze wie Adventskränze geflochten und die Buben trugen sie mit langen Bändern und waren stolz darauf. Der Kranz wurde bis zum nächsten Sonntag zum Frischhalten in den Brunnen gehängt, denn am darauffolgenden Sonntag war ja wieder Umgang, aber nicht mehr so festlich wie am Fronleichnamstag. Vor dem Prangertag wurde die Dorfstraße blitzblank gefegt und dann Gras und Blumen darauf gestreut. Die Mesner Resl sammelte schon Tage zuvor Pfingstrosen und Margeriten und legte aus Blättern und Blumen schon im Morgengrauen herrliche Blumenteppiche vor jedem der vier Altäre. Denn zog der Herrgott durch unser kleines Dorf und alles ging mit, nur die Mütter mit den kleinen Kindern schauten am Wegrand andachtsvoll zu.

Der erste Schulausflug kam und ich ging auch mit. Unser Ziel war Obermurach und wir fuhren zwei Stationen mit der Bimmelbahn. Mindestens zehn Kinder waren noch nie in ihrem Leben mit der Eisenbahn gefahren. Bis wir uns richtig umsahen, hockten auf der Station zwei Buben auf den Puffern der Lokomotive. Sie dachten, auf diese Weise bräuchten sie nichts zu bezahlen.

Allmählich gewöhnte ich mich auch als Hausfrau ans Landleben und wusste, dass man beim Wirt nur Schweinefleisch bekam. Wollte ich Gemüse, musste ich das im Schulgarten selber anbauen. Zum Kuchenbacken nahm man Würfelzucker, wenn es keinen Staubzucker gab. Die Würfel wurden mit dem Nudelholz zerdrückt und dann durchgeseiht.

Weil wir drei Stunden zur Bahn hatten, kratzten wir unser letztes Geld zusammen und kauften uns ein Auto, einen DKW. Wie oft sind wir damit in den Schlaglöchern der Straße und im Winter im Schnee steckengeblieben! Der Herr Expositus besaß auch ein Auto. Aus einem alten Ford hatte er den Motor ausgebaut und der Schlosser Hans setzte eine selber gebastelte Karosserie aus Blech darauf. Beim Fahren hat das Ding immer furchtbar gescheppert, aber es lief. Der Expositus meinte, er würde uns damit einmal zu den Bayreuther Festspielen fahren und wir würden bei der Auffahrt bestimmt Aufsehen erregen.

Wir hatten nun ein Auto und einige alte Männer Im Wirtshaus sagten: „Wia mir no Boum gwen san, is unser Schellehrer mit'n Mistwogn zum Dorf außigfahrn und etza mit'm Auto.“ Unser Auto wurde bald zur Dorfmietkutsche und fast jeder wollte mal aufsitzen und mitfahren bis „Veachta“ (Oberviechtach). Hatten wir unsere Einkäufe erledigt, mussten wir gar oft unsere Mannerleut in den Wirtshäusern von Oberviechtach zusammensuchen.

Der Winter rückte näher und die Kinder mussten von den entlegenen Dörfern und Einöden bei Regen und Schnee eine Stunde und noch mehr zur Schule gehen. Als Mittagessen hatten sie nur ein Stück Brot dabei. Es gab damals Spenden aus Holland für die Grenzbevölkerung. Mein Mann schrieb an die Behörden und es klappte. Wir erhielten einen Zuschuss und ich konnte mit dem Suppenkochen beginnen. Die Gemeinde stiftete einen großen Topf und zwei Buben holten jeden Mittag die Suppe aus unserer Küche, die ich dann in der Schule austeilte. Es gab Nudelsuppe mit Würstchen, Kartoffelsuppe mit klein geschnittenem Schweinefleisch, am Freitag Milchkaffee und Hörnchen. Im Winter hatten wir so viel Schnee, dass wir einmal drei Tage eingeschneit waren, ohne Postzustellung und ohne jede Verbindung zur Außenwelt. Man sah nicht einmal mehr die Schneezeichen am Wegrand. Täglich gab‘s dann abends eine große Gaudi: 15 bis 20 Burschen und Mädchen sausten auf großen Zugschlitten die steile Dorfstraße hinab ins Tal. Die hatten ein Tempo wie Bobfahrer drauf!

Weihnachten nahte. Meine Mutter und meine Schwester kamen zu uns zu Besuch. Wir feierten mit den Pfarrhofbewohnern eine wunderschöne Weihnacht. Es ist mir unvergesslich, wie in der Christnacht die Dörfler mit Laternen durch den Schnee stapften, als die Glocken unserer Kirche zur Christmette riefen. Vorher war bei uns noch eine kleine Chorprobe und ich kredenzte Punsch und Plätzchen und alle sangen in der Kirche freudig das Hirtenamt.

Der Schnee hielt sich bei uns sehr lange, gut zwei Wochen länger als im Flachland. Endlich zog sich der Winter in die Wälder zurück und die Wiesen wurden wieder grün. Die ersten Buschwindröschen blühten und Ostern kam herbei. Die ganze „Point“ (Anmerkung: Wiese unterhalb vom Anwesen Dirmeier) war voller Kinder, die fleißig Eier aufwarfen. Die Erwachsenen schauten dabei zu. Die Schlehdornhecken überzogen sich mit weißen Wolken von Blüten, vom Wald her hörte man den Kuckuck rufen. Wie schnell doch die Zeit verging!

03.02.2021 
Quelle: Text ONETZ 
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